Gendersternchen und Doppelpunkte

Wie die neue Sprachkultur unsere Kommunikation beeinflusst

BarrierefreiheitSprache
Von Silja Becker
Genderzeichen

MitarbeiterInnen, Mitarbeiter*innen, Mitarbeiter:innen, Mitarbeiter_innen oder Mitarbeitende – die Möglichkeiten scheinen unendlich und niemand weiß so genau, was jetzt eigentlich richtig ist. Das Thema Gendern beschäftigt schon lange nicht mehr nur die Sprachwissenschaft, sondern wird von der breiten Gesellschaft regelrecht durchgekaut: Die einen befürworten das Gendern, die anderen lehnen es strikt ab, und manche sind einfach nur noch verunsichert. 

Wir fangen mal ganz von vorne an: Was ist eigentlich das Ziel des Genderns? Das englische Wort “gender” bedeutet Geschlecht, gemeint ist damit aber nicht das biologische, sondern das soziale Geschlecht einer Person. Dieses legt fest, was von einer Person in einer bestimmten Situation erwartet wird, was ihr erlaubt ist und welche Wertschätzung sie erfährt. Es geht also um das gelebte und gefühlte Geschlecht – zum Beispiel um das, was als typisch für Männer oder Frauen angesehen wird. 

Durch eine geschlechtergerechte Sprache sollen alle Geschlechter angesprochen und einbezogen werden. Damit ist nicht nur die schlichte Einteilung in Männer und Frauen gemeint, denn auch Trans*-, Inter- und nicht-binär verortete Personen sollen respektvoll angesprochen und sichtbar gemacht werden. Ziel des Gendern ist es also, die Gleichbehandlung aller Geschlechter zum Ausdruck zu bringen.

 

Studien zum Gendern

Aber brauchen wir dafür wirklich komplexe Gebilde mit Sternchen, Unterstrichen oder Doppelpunkten? Gender-Kritisierende betonen häufig, das generische Maskulinum würde ohnehin für alle gelten – nicht nur für Männer. Studien machten allerdings deutlich, dass die meisten Menschen sich Männer vorstellen, wenn zum Beispiel von Politikern, Wissenschaftlern oder Ärzten die Rede ist. Eine davon – und die wohl meistgenannte Studie in der Genderdebatte – ist die der Freien Universität Berlin, bei der Grundschulkindern Berufsbezeichnungen in geschlechtergerechter oder männlicher Form vorgelesen wurden. Die Kinder, denen geschlechtergerechte Berufsbezeichnungen vorgelesen wurden, trauten sich anschließend viel eher zu, einen typisch männlichen Beruf zu ergreifen. 

Die Ergebnisse einer Studie der Universität Kassel zeigten aber, dass Varianten mit dem Gendersternchen zugunsten von Frauen verstanden werden. Bei dem Satz “Die Autor*innen waren schon am Flughafen” wurde verstärkt an Autorinnen, also an Frauen gedacht. Eine ausgeglichene Vorstellung von Männern und Frauen wurde mit dem Satz “Die Autorinnen und Autoren waren schon am Flughafen” erzielt. Beim Lesen des Gendersternchens werden Frauen demnach stärker repräsentiert als Männer. Eine gleich starke Repräsentation kann daher nur durch die explizite Nennung beider Formen erreicht werden.

Am Beispiel Autor*innen zeigen sich außerdem weitere Probleme: Im Plural funktioniert das Sternchen eigentlich gar nicht, denn die Weglassprobe ist nicht erfüllt. Mit der Weglassprobe kann überprüft werden, ob ein Wort mit Sternchen, Doppelpunkt oder Unterstrich gegendert werden kann. Dazu muss das Wort vor dem Genderzeichen vollständig und grammatikalisch korrekt sein. Im Singular ist das bei Autor*in der Fall, aber im Plural geht bei Autor*innen die Endung -en der männlichen Form Autoren verloren. Noch deutlicher wird die Problematik am Beispiel Kund*in – denn “Kund” ist kein Wort und somit grammatikalisch falsch. Genderwörterbücher schlagen in diesen Fällen vor, eine neutrale Pluralform wie Verfassende oder Kundschaft zu verwenden. Dadurch werden alle Geschlechter gleichermaßen angesprochen und der Lesefluss bleibt erhalten.

Alternative Vorschläge

Neben Genderzeichen und neutralen Bezeichnungen gibt es in der Diskussion rund ums Gendern noch viele weitere Ideen, die von radikalen Änderungen der Sprache bis hin zu gesellschaftlicher Umgewöhnung reichen.

Die Genderforscherin Lann Hornscheidt schlägt zum Beispiel vor, das x als neutrale Endung zu verwenden. Aus Studenten würden dann Studierx und aus Professoren Professx werden. So soll deutlich werden, dass es nicht nur Männer und Frauen gibt. 

Einen anderen Vorschlag macht die YouTuberin Alicia Joe in ihrem viralen Video “Warum Gendersprache scheitern wird”. Sie schlägt vor, sämtliche Movierungen aus der deutschen Sprache zu streichen und Worte wie Lehrer oder Student konsequent auch für weibliche oder diverse Personen zu nutzen, damit das generische Maskulinum irgendwann nicht mehr mit männlichen Personen assoziiert wird. Wenn Unterschiede wirklich wichtig sind, sollte man Adjektive nutzen und von weiblichen oder männlichen Lehrern sprechen. Diese Streichung der Movierungen würde natürlich auch für männliche Formen gelten, Männer würden also auch als Witwe, Hexe oder Braut bezeichnet werden – um konsequent die kürzere Form zu verwenden. 

Wen wir nicht vergessen dürfen

All diese Vorschläge haben ein gemeinsames Ziel, das in unserer Gesellschaft definitiv sinnvoll ist: die Gleichbehandlung aller Menschen zu fördern und für mehr Offenheit bei Geschlechterrollen zu sorgen. In der Diskussion um eine Sprache, die niemanden diskriminieren soll, dürfen deshalb neben Personen des LGBTQIA+-Spektrums auch andere Minderheiten nicht vergessen werden. Es kann passieren, dass durch Gendern bestimmte Personengruppen ausgeschlossen werden – obwohl eigentlich genau das vermieden werden soll. 

Dabei geht es zum Beispiel um Personen mit kognitiven Einschränkungen. Durch Genderzeichen können für sie Probleme entstehen, denn gendergerechte Sprache ist nicht immer barrierefrei. Vorleseprogramme, auf die sehbehinderte oder blinde Personen angewiesen sind, haben häufig Schwierigkeiten im Umgang mit Sonderzeichen und lesen das Sternchen oder den Unterstrich explizit vor. Aus Mitarbeiter*innen wird dann zum Beispiel “Mitarbeiter Sternchen Innen” – und das ist leider alles andere als ideal. Der Doppelpunkt funktioniert hier schon besser, denn er wird beim Vorlesen zu einer längeren Pause. 

An dieser Stelle ist auch erwähnenswert, dass sich die meisten Screenreader konfigurieren lassen – so kann man einstellen, wie die Genderzeichen in der Mitte eines Wortes vorgelesen werden sollen. Dies ist allerdings für technische Laien nicht ganz einfach – deshalb finden wir, dass Anbietende von Screenreadern gefragt sind, eine unkomplizierte Konfiguration zu ermöglichen. 

Wir müssen außerdem an eine weitere Personengruppe denken, wenn wir uns geschlechtsneutral ausdrücken möchten – denn durch gendergerechte Formulierungen kann es passieren, dass Verständlichkeit und Lesbarkeit von Texten verschlechtert werden. Deshalb fällt es zum Beispiel Personen mit Migrationshintergrund oder einer Lese-Rechtschreibschwäche schwer, gegenderte Texte zu verstehen. 

Und was macht nova?

Bei all diesen Schwierigkeiten und unterschiedlichen Vorschlägen fragt man sich manchmal, ob die Gender-Befürwortenden vielleicht zu voreilig waren – denn es scheint keine Lösung zu geben, die sofort perfekt funktioniert. Auch wir diskutieren häufig über gendergerechte Sprache, weil wir das Ziel des Genderns befürworten und in unserem Arbeitsalltag alle Menschen gleich behandeln wollen. Deshalb haben wir uns entschieden, neutrale Bezeichnungen zu verwenden, wann immer es möglich ist. Statt Mitarbeiter sprechen wir von Mitarbeitenden oder von unserem Team, statt Nutzern von Nutzenden. 

Apropos sprechen: Wir geben uns Mühe, nicht nur im Schriftlichen zu gendern, sondern eine geschlechtergerechte Sprache mit neutralen Bezeichnungen auch in der mündlichen Kommunikation anzuwenden. Das klappt natürlich nicht immer perfekt – zum Beispiel, wenn wir gerade über komplexe Themen sprechen und uns auf Fachwissen konzentrieren – aber wir geben uns Mühe! 

Durch neutrale Ausdrücke werden alle Personen angesprochen, kein Geschlecht wird in den Vordergrund gerückt und die Lesbarkeit sowie Verständlichkeit der Texte leiden nicht. Wenn es mal keine passende neutrale Bezeichnung gibt – was selten vorkommt – dann gendern wir mit dem Doppelpunkt. Dieser ist nicht nur hinsichtlich der Barrierefreiheit das kleinere Übel, sondern auch die beste Lösung für ein Thema, das uns als Digitalagentur täglich begegnet: SEO. 

Für uns und unsere Auftraggebenden ist die Suchmaschinenoptimierung von Websites entscheidend für ihren Erfolg – denn was nutzt eine spektakuläre Website, wenn niemand sie findet? Damit eine Website bei den Google-Suchergebnissen weit oben angezeigt wird, muss ein gegenderter Begriff vom Suchalgorithmus sowohl als männliche als auch weibliche Form verstanden werden. Analysen von SEO-Fachkundigen haben ergeben, dass bei der Verwendung des Doppelpunktes beide Varianten interpretiert werden. Aus Grafiker:in macht Google also Grafiker und Grafikerin. Beim Gendern mit Sternchen wird meist nur die männliche Variante interpretiert, der Unterstrich hingegen wird zur weiblichen Form. 

Der Doppelpunkt ist für uns daher aktuell die beste Lösung, wenn es keine passende neutrale Variante gibt oder wenn die Suchmaschinenoptimierung im Vordergrund steht. So langsam wird klar: Dieser Beitrag könnte noch ewig weitergehen, denn die Thematik ist äußerst kompliziert. Wir bleiben trotzdem dran und beschäftigen uns weiter mit dem Gendern – denn Gleichberechtigung ist für uns ein Thema, das wir nicht ignorieren können und wollen. 

Ein kleiner Hinweis zum Schluss: Bei unseren Projekten entscheiden unsere Kundinnen und Kunden natürlich selbst, ob auf ihrer Website gegendert werden soll oder nicht – und diese Entscheidung berücksichtigen wir bei der Texterstellung.

Silja Becker
Silja BeckerProject Owner
Silja Becker
Silja BeckerProject Owner