Abgespaced, Streetfood und Brainstorming

Denglisch in der Agenturwelt

Sprache
Von Silja Becker

Fast wäre ich heute Morgen zu spät zum Meeting gekommen – man ist es ja gar nicht mehr gewohnt, dass sowas Face-to-face stattfindet! Ich habe schon wieder zu lange gechillt und durch meine Lieblingsblogs gescrollt. Immerhin hat die Zeit noch gereicht, auf dem Weg ins Office schnell einen Coffee to go zu holen. Sonst hätte ich keine Power für das Brainstorming gehabt, und wer hat schon Bock auf mieses Feedback? Naja, ich muss weiter arbeiten… die Deadlines rufen!

Was ist Denglisch?

Der Begriff Denglisch ist eine Kontraktion aus den Wörtern Deutsch und Englisch und beschreibt den vermehrten Gebrauch von Anglizismen in der deutschen Sprache – und er beschreibt auch den Absatz ziemlich gut, den Du gerade gelesen hast. Anglizismen sind nichts anderes als aus dem Englischen stammende Fremdwörter: zum Beispiel abgespaced, besprayt, Computer, Bestseller, beamen, leaken, Streetfood, Hobby oder Jackpot. Die englischen Eindringlinge sind meist Substantive, substantivierte Verben oder andere übernommene Phrasen.

Wenn Sprache als Denglisch bezeichnet wird, ist das meist abwertend gemeint und bezieht sich auf die subjektive Einschätzung einer Person. Zum Beispiel dachtest Du vielleicht gerade, dass ich ja totales Denglisch schreibe. Und auch der liebe Achim könnte kotzen, wenn seine Tochter Annika schon wieder so ein “Selfie” mit ihm machen will. Das heißt doch … Moment, wie sagt man Selfie denn eigentlich auf Deutsch? Damit sind wir bei einer wichtigen Frage angekommen.

Ist Denglisch gut oder schlecht?

Achim und andere Gegner:innen der Sprachvermischung behaupten, wer Denglisch spricht und schreibt, wolle einfach nur vermeintliche Überlegenheit und Weltgewandtheit demonstrieren. Der Verein der deutschen Sprache argumentiert außerdem, englische Begriffe seien oft unnötig, denn es gebe doch gleichberechtigte deutsche Worte, die nicht in Vergessenheit geraten sollen.

Ein deutscher Professor namens Stefanowitsch ist anderer Meinung: Er hat die Wahl zum Anglizismus des Jahres ins Leben gerufen. Stefanowitsch sagt, dass Lehnwörter aus dem Englischen keine sprachlichen Mängel, sondern eine Bereicherung sind. Zum Anglizismus des Jahres wird jedes Jahr ein Wort gewählt, das “im laufenden Jahr ins Bewusstsein und den Sprachgebrauch einer breiten Öffentlichkeit gelangt ist und eine interessante Lücke im deutschen Wortschatz füllt.“ Dazu gehören auch die Selfies, die Annika so gerne mit ihrem Smartphone aufnimmt. Dieser Satz klingt für uns total normal, doch irgendwie kann ich Achims Kritik auch verstehen – denn wie soll zum Beispiel Oma Hildegard hier noch irgendwas kapieren? Andererseits klingt es einfach seltsam, wenn Annika ein Selbstbildnis mit ihrem schlauen Telefon aufnimmt.

Zurück zu Professor Stefanowitsch und dem Anglizismus des Jahres: Gewonnen haben in den letzten Jahren zum Beispiel die Wörter boostern, Lockdown, Deepfake, Gendersternchen, Influencer, spoilern, Selfie und Crowdfunding. Wenn wir mal darüber nachdenken, gibt es wirklich kein passendes deutsches Äquivalent, oder?
Gerade die Corona-Pandemie hat Lücken im deutschen Sprachgebrauch aufgezeigt, die durch Entlehnungen aus dem Englischen gefüllt werden konnten: Long Covid, Social Distancing, Superspreader, Homeschooling und QR-Code sind nur ein paar davon.
Falls es kein passendes deutsches Wort gibt, ist es laut Stefanowitsch völlig in Ordnung, das englische zu verwenden.

Woher kommt die Vermischung der beiden Sprachen?

Jetzt wissen wir, dass es manchmal einfach kein deutsches Wort dafür gibt, was wir sagen wollen. In anderen Fällen existiert aber durchaus ein passendes Äquivalent, manche Wörter sind auf Englisch aber einfach “schöner”. Wer würde lieber Klapprechner statt Laptop sagen? Ein Jetlag klingt besser als ein Zeitzonenkater, ein Airbag besser als ein Prallkissen – und jemanden zum Public Viewing einzuladen, hört sich ehrlich gesagt ein bisschen besser an, als zu fragen ob sie/er Lust auf öffentliches Fußballschauen mit Freunden, Freundinnen und Fremden hat.

Oft benutzen wir die englischen Wörter, ohne überhaupt darüber nachzudenken, doch irgendwie fragt man sich manchmal doch, woher das eigentlich kommt.
Zuerst einmal müssen wir dabei bedenken, dass Sprache ständigen Einflüssen und Veränderungen unterliegt. Schon immer haben Sprachgemeinschaften bestimmte Wörter anderer Sprachen ausgeliehen, und heute spielt eben Englisch eine wichtige Rolle als Gebersprache für andere Sprachen, weil es zu unserer globalen Verkehrssprache geworden ist. Durch die Globalisierung und Digitalisierung werden im tech business – sorry, im gewerblichen und technischen Bereich – immer mehr Anglizismen verwendet. E-Mail, downloaden, Event, Marketing oder Branding sind nur ein paar Beispiele für diese Entwicklung.

Bei vielen der Begriffe fällt uns erst überhaupt nicht auf, dass sie eigentlich aus dem Englischen kommen, weil sie schon so selbstverständlich in unsere Alltagssprache integriert sind. Sie haben aber auch einfach viele Vorteile: Im wirtschaftlichen Kontext führen Anglizismen zum Beispiel dazu, dass neue und technische Begriffe international einheitlich verwendet werden. Dadurch entstehen einheitliche Bezeichnungen in den Herstellungs- und Vermarktungs-Prozessen unserer globalisierten Wirtschaft. Sounds pretty great, oder? Außerdem ist es eine Erleichterung für alle Nicht-Muttersprachler:innen, wenn sie neue Begriffe aus dem Deutschen nicht übersetzen müssen, sondern schon aus dem Englischen kennen.

Sprachvermischung in der Agenturwelt

Da viele englische Wörter besser klingen als ihre deutschen Äquivalente, ist es nicht verwunderlich, dass die denglische Ausdrucksweise auch in der Welt der Werbeagenturen und Marketingprofis angekommen ist. Dazu kommt, dass es für manche technischen Begriffe schlicht kein deutsches Äquivalent gibt. Auch bei nova sind wir nicht frei vom Denglischen, denn wir reden von Mockups, Tools, Dockern und Grids und bezeichnen uns selbst als UX Concepter, Web Developer und Teamleads.

Das mag intern ja kein Problem sein – und wir wissen bereits, dass die international einheitliche Verwendung technischer Begriffe uns Vorteile bringt. Doch was ist, wenn das Denglisch in einem Kundentermin überhand nimmt und unser neuester Kunde Herr Meier nur noch train station versteht? Hier ist Vorsicht geboten, denn nicht jede*r versteht unseren Agentur-Denglisch-Techsprech. Wir merken uns: Im fachlichen Kontext ist Denglisch kein Problem und kann sogar hilfreich sein, aber bei der Kommunikation mit Kunden und Kundinnen reißen wir uns lieber etwas zusammen.

Auch wenn wir Werbetexte formulieren, ist etwas Feingefühl nötig. Kritiker:innen des Denglischen führen an, in der Werbung würden oft Schlagwörter und Sätze mit gutem Klang vorkommen, deren Bedeutung aber unklar und verwirrend ist. Ganz unrecht haben sie damit nicht: Eine Studie aus 2016 ergab, dass ganze 64% der Deutschen englische Werbesprüche nicht richtig übersetzen können und deshalb nicht gut darauf reagieren – was eher ein Gegenargument für Denglisch ist, denn ein guter Werbespruch soll definitiv hängenbleiben, oder?

Achim wird nie vergessen, wie Annika und ihr Bruder Andi ihn ausgelacht haben, als er den YouTube-Slogan “Broadcast yourself” total falsch verstanden hat. “Dein eigener Brotkasten, was soll das denn schon wieder sein?”, hatte er geschimpft. Mann, war das peinlich! Der Spruch ist Achim zwar trotzdem im Gedächtnis geblieben – aber nicht, weil er ihn richtig verstanden hat.

Auch Werbesprüche wie “How alive are you?” von Jaguar oder “Design Desire” von Braun verstehen nur die wenigsten Deutschen. Das fehlende Verständnis führt dazu, dass die Sprüche schnell wieder vergessen werden – und auch die Zuordnung zur passenden Marke geht dabei flöten.

Also denken wir lieber zweimal darüber nach, ob das englische Wort wirklich die bessere Wahl ist. Achim wird es uns danken!

Silja Becker
Silja BeckerProject Owner
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